Akuter Fachkräftemangel in der Physiotherapie – Warum viele Praxen neue Wege gehen müssen

Einleitung: Die Lücke wächst – und das nicht langsam

Die Zahl ist erschreckend – aber keine Überraschung mehr: Laut Bundesagentur für Arbeit fehlen derzeit über 11.000 Physiotherapeut:innen in deutschen Praxen, Kliniken und Rehazentren. Die Vakanzzeit liegt inzwischen bei über 166 Tagen, Tendenz steigend. Das bedeutet: Stellen bleiben über ein halbes Jahr unbesetzt, obwohl der Bedarf wächst. Und genau hier liegt das Problem. Während Patientenzahlen steigen – durch den demografischen Wandel, durch postpandemische Belastungssymptome, durch Reha nach orthopädischen oder neurologischen Eingriffen – fehlen in den Teams die Hände, um zu helfen.

Für viele Praxisinhaber:innen ist die Situation mehr als angespannt. Die Termine sind ausgebucht, Kolleg:innen arbeiten an der Belastungsgrenze, Ausfälle können kaum kompensiert werden. Doch was tun? Jammern hilft nicht. Gefragt sind pragmatische, kreative und mutige Ansätze, um Personal zu gewinnen, zu halten – und die Attraktivität des Berufsbilds wieder sichtbar zu machen.

Warum fehlen so viele Physiotherapeut:innen?

Die Ausbildung – viel Idealismus, wenig Perspektive?

Der Beruf des/der Physiotherapeut:in gilt als einer der anspruchsvollsten Gesundheitsberufe. Drei Jahre schulische Ausbildung mit hohem Praxisanteil, viel Verantwortung, ständige Weiterbildung. Und das alles häufig bei einem Einstiegsgehalt von 2.400 bis 2.800 Euro brutto. Kein Wunder, dass viele junge Menschen sich heute anders orientieren – und stattdessen in Studiengänge oder Berufe mit besserer Bezahlung oder planbareren Arbeitszeiten wechseln.

Was tun?

Praxisinhaber:innen sollten sich frühzeitig mit Ausbildungsstätten verbinden – als Kooperationspartner:innen, Praktikumsstellen, mögliche Arbeitgeber:innen. Wer früh mit den Auszubildenden in Kontakt kommt, kann Interesse wecken – und auch gezielt Talente fördern.

Der hohe körperliche und emotionale Anspruch

Physiotherapeut:innen arbeiten körperlich nah am Menschen, tragen Mitverantwortung für die Gesundheit, für Fortschritte, für Motivation. Gleichzeitig fehlen häufig Pausen, Fortbildungszeit, Supervision oder strukturelle Rückendeckung. Viele wechseln deshalb nach wenigen Jahren in andere Bereiche – oder steigen ganz aus dem Beruf aus.

Was tun?

Eine gute Arbeitsatmosphäre, offene Kommunikation, regelmäßige Reflexionsgespräche und flexible Modelle (z. B. Teilzeit, 4‑Tage‑Woche, hybride Formate) können helfen, Überforderung zu vermeiden. Wertschätzung ist mehr als ein Obstkorb.

Mangelnde Sichtbarkeit und Employer Branding

Viele Praxen gehen noch davon aus, dass sich „gute Leute schon melden werden“. Doch der Markt hat sich gedreht. Physiotherapeut:innen können heute auswählen – und tun das auch. Umso wichtiger wird es, sich als Praxis aktiv zu positionieren: mit einer starken Arbeitgebermarke, einer authentischen Außenwirkung und klarem Profil.

Was tun?

Was macht Ihr Team besonders? Welche Werte vertreten Sie? Welche Arbeitsbedingungen bieten Sie? Antworten auf diese Fragen gehören nicht nur in interne Meetings, sondern auch auf die Website, in Stellenanzeigen und Social Media.

Erfolgreiche Wege aus der Personal-Falle – konkrete Praxisansätze

Nachwuchsbindung: Früh Kontakte knüpfen, Perspektiven bieten

Viele erfolgreiche Praxen setzen auf ein langfristiges Modell: Sie holen Praktikant:innen aus Physiotherapieschulen oder Hochschulen in die Praxis, lassen sie mitlaufen, geben echte Einblicke – und bleiben in Kontakt. So entsteht Bindung, Vertrauen – und im besten Fall ein zukünftiger Arbeitsvertrag.

Praxis-Tipp: Erstellen Sie ein strukturiertes Praktikumsprogramm mit festen Ansprechpartner:innen, klaren Lernzielen und Feedback-Gesprächen. Machen Sie gute Erfahrungen sichtbar – etwa mit einem Kurzinterview ehemaliger Praktikant:innen auf Ihrer Website.

Flexibilität statt starrer Dienstpläne

Gerade junge Therapeut:innen legen großen Wert auf Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Das betrifft nicht nur Eltern – auch Freizeit, Sport, persönliche Entwicklung sind entscheidend. Wer hier punktet, sticht heraus.

Praxis-Tipp: Bieten Sie verschiedene Arbeitszeitmodelle an: 30h/Woche, 4-Tage-Woche, Homeoffice-Anteile bei Dokumentation oder Terminplanung. Kommunizieren Sie klar, welche Möglichkeiten es gibt – und dass auf individuelle Lebensphasen Rücksicht genommen wird.

Fortbildung fördern – und sichtbar machen

Therapeut:innen wollen lernen, sich weiterentwickeln, spezialisieren. Wenn das im Arbeitsalltag nicht möglich ist oder nicht unterstützt wird, ist die nächste Bewerbung bei der Konkurrenz schnell geschrieben.

Praxis-Tipp: Übernehmen Sie (teilweise) die Kosten für Fortbildungen, geben Sie regelmäßig Weiterbildungszeit frei – und präsentieren Sie das offen. Ein Praxisprofil à la „Wir fördern unsere Therapeut:innen mit X Fortbildungstagen im Jahr“ wirkt stark auf potenzielle Bewerber:innen.

Digitale Wege – wie moderne Kommunikation hilft, neue Mitarbeiter:innen zu finden

Karriereseite aufbauen

Eine eigene Karriereseite auf der Praxis-Website ist heute Pflicht. Dort sollten Bewerber:innen sofort sehen:

  • Welche Stellen offen sind
  • Was Ihre Praxis bietet
  • Wie das Team aussieht
  • Wie unkompliziert man sich bewerben kann (z. B. auch per WhatsApp)

Social Media nutzen

Nutzen Sie Instagram, Facebook oder LinkedIn nicht nur für Patientenkommunikation, sondern auch für Einblicke ins Team, Events, Behind-the-Scenes. So entsteht ein echtes Bild – und ein „Da würde ich gerne arbeiten“-Gefühl.

Empfehlungsmarketing

Bitten Sie aktuelle Mitarbeiter:innen, Stellenangebote zu teilen – und belohnen Sie erfolgreiche Empfehlungen (z. B. mit Bonuszahlungen, Gutscheinen, Extraurlaub). Studien zeigen: Persönliche Empfehlungen sind einer der effektivsten Recruiting-Kanäle im Gesundheitswesen.

Fazit: Wer heute gewinnen will, muss auffallen – mit Haltung, Herz und Handlung

Der Fachkräftemangel in der Physiotherapie ist nicht mit einer einfachen Lösung zu beheben. Aber: Wer sich als Praxis klar positioniert, intern wertschätzend führt und extern modern kommuniziert, hat heute die besten Chancen.

Es geht nicht darum, alles perfekt zu machen. Sondern darum, sichtbar zu sein, offen zu sein – und echten Menschen echte Arbeitsplätze mit Sinn, Struktur und Wertschätzung zu bieten.

 

 

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